Montag, 12. Oktober 2015

Berlin

Berlin. Was soll ich sagen, ich mochte diese Stadt nie sonderlich gerne. Zu viel Elend. Zu viel Schmutz. Zu viel Lärm. Zu viel Anonymität bei gleichzeitiger Enge.
So auch dieses Mal. Es fängt schon in der S-Bahn an. Abgekämpfte Gesichter, jeder sucht sich eine  Punkt, auf den er starren kann, um ja niemandem ins Antlitz blicken zu müssen. Der Großteil dieser Stadt ist allein unterwegs, jeder kämpft sich als Einzelgänger durch die Massen. Bloß keine dieser gebrochenen Gestalten anschauen, man wird auch so schon genug von ihnen angesprochen. 
Wir kommen bei einer Freundin unter, die hier momentan lebt. In einem typischen DDR Plattenbau mit Wänden wie Pappe. Man fühlt sich plötzlich den impressionistischen Verfassern von Stadtgedichten sehr nahe.
Am nächsten Morgen geht es mit einer Tageskarte in die Stadt. Ich habe fast den ganzen Tag für mich. Und, wie sollte es anders sein, nimmt das ganze seinen Lauf. Ein beeindruckendes Gebäude zieht mich zum nächsten, ein schönes Stückchen Grün folgt dem anderen. Wie ein Sog zieht es einen immer weiter, ein ewiger Fluss aus Eindrücken.
Keine Zeit für Körperwelten, das Mauermuseum oder eine Fahrt auf der Spree, es gibt zu viel zu entdecken. Langsam verändert sich das Stadtbild. Wohnhäuser verdrängen Kirchen und Konsumtempel, die typischen Modeketten weichen kleine individuellen Läden. Das Mittagessen führt mich immer tiefer in eine solche Gegend. Hier treffe ich mich auch mit zwei Freundinnen und wir entscheiden uns für einen Laden mit sudanesischer Küche. Nach einem vortrefflichen und günstigem Imbiss trennen sich unsere Wege wieder. Nun habe ich die Chance, mich auch hier ein wenig genauer umzusehen. Anscheinendend handelt es sich um einen Schmelztiegel der Kulturen. Fremde Stimmen und Gerüche, all die kleinen Cafés, so langsam beschleicht einen das Gefühl, hier zu leben ist wohl doch nicht so unangenehm.
Auf dem Heimweg geht es wieder vorbei an tiefen Gräben, umrandet von alten Plastikplanen, aber diesmal lächelt man. Berlin, Stadt der Baustellen. Das Pärchen, das dort vorne an der Tür steht, die beiden sehen doch ganz glücklich zusammen aus. Hätte ich das geahnt, hätte ich die Kamera nicht Zuhause gelassen.
Und abends, wenn man mit langjährigen Freunden und neuen Bekannten am Tisch sitzt, ist Berlin wie jeder andere Ort auch.